Islamische Verbände & Kooperation mit dem Staat
Prof. Dr. Mathias Rohe
Die muslimische Organisationslandschaft in Bayern spiegelt die religiöse Pluralität des Islam ebenso wie die Migrationsgeschichte vieler Muslime im Land. Die Entwicklung islamischer Organisationen steht weitgehend im Zusammenhang mit der Migrationsgeschichte eines großen Teils der muslimischen Bevölkerung, wenngleich es auch seit vielen Jahrzehnten Vereinigungen deutscher Muslime gibt und auch die zugewanderten Muslime zu großen Teilen nun Deutsche sind. Als Massenerscheinung war der Islam in Deutschland zunächst eine Angelegenheit von „Ausländern“, vor allem aus der Türkei. Die Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre haben jedoch das arabische Element verstärkt.
Muslime sind überwiegend selbstorganisiert in Vereinen, die Arbeit wird ehrenamtlich getragen. Wie die Kirchen und Synagogen auch, kümmern sich Moscheevereine außer um Religion auch um verschiedenste soziale Belange.
Die großen Dachverbände repräsentieren nur einen Teil der muslimischen Organisationen.
Kooperationen zwischen Organisationen und staatlichen Behörden finden bislang vor allem auf kommunaler Ebene statt. In vielen Fällen ist diese Ebene auch entscheidend: Hier gelingt oder misslingt das Zusammenleben. Generell lässt sich sagen, dass die Kooperation zwischen muslimischen Organisationen und staatlichen Behörden in Bayern in vielen Bereichen gerade auf kommunaler Ebene vorangekommen ist. Neben Einschränkungen durch die ehrenamtlichen Strukturen auf muslimischer Seite ist auch auf staatlicher Seite vieles von persönlichem Engagement abhängig.
Rechtliche Fragen
Ass. iur. Verena Kühnel und Ass. iur. Maximilian Linke
Grundgesetz und bayerische Verfassung gewährleisten weitreichende Religionsfreiheit auch im öffentlichen Raum. Anders als z.B. im laizistischen Frankreich wird gelebte und sichtbare Religiosität primär als Ressource für ein gedeihliches Zusammenleben gesehen und nicht primär als Konkurrenz zu oder gar als Bedrohung für das politische Leben in einem säkularen Gemeinwesen.
Generell ermutigt der deutsche Staat daher die Selbstorganisation religiöser Gruppen und kooperiert, wenn die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, auf vielen Gebieten mit ihnen.
Säkularität bedeutet aber auch hier staatliche Neutralität gegenüber Religionen und Weltanschauungen sowie deren grundsätzliche Gleichbehandlung, freilich nicht ohne Beachtung der gewachsenen religiösen Prägung des Landes. Dies betrifft bspw. gesetzliche Feiertage, die in Deutschland oft christliche Hochfeste sind.
Einschränkungen der Religionsfreiheit können aus Gründen der Kollision mit anderen Grundrechten bzw. der negativen Religionsfreiheit sowie bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben – Stichwort Kopftuchverbot für Lehrerinnen – möglich oder auch erforderlich werden. Sie müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht werden.
Die muslimische Präsenz ändert auch manche rechtliche Tradition: So wurde mittlerweile die Sargpflicht bei der Bestattung (Muslime beerdigen traditionell sarglos) in 13 von 16 Bundesländern, darunter mit Ausnahme von Bayern alle mit großen muslimischen Populationen, aufgehoben und so Beheimatung auch im Tod ermöglicht.
Islamischer Unterricht
Prof. Dr. Tarek Badawia
Bayern weist eine stolze Tradition des respektvollen Umgangs mit religiöser Pluralität auf („Augsburger Tradition“). Dies bietet gute Voraussetzungen für die Bewältigung neuerer Pluralisierungsentwicklungen. Im demokratischen Parteienspektrum besteht ebenso wie in breiten Kreisen der Bevölkerung Einigkeit über die Bedeutung einer authentischen religiösen Bildung von Muslimen auch im Bereich öffentlicher Schulen, welche im Rahmen des geltenden Rechts nach hiesigen pädagogischen und didaktischen Standards vermittelt wird. Religiöse Bildung dient zwar nicht primär integrativen Zwecken, unterstützt sie jedoch in erheblichem Umfang dadurch, dass thematische Gesprächsfähigkeit in deutscher Sprache erzeugt wird und die Vermittlung der Inhalte auf die Lebenssituation der Schülerschaft im Inland ausgerichtet ist. Das unterscheidet den schulischen Unterricht, der auf die Unterstützung der Entwicklung der religiösen Kompetenz abzielt, von vielen „Koranschulen“. Der Unterricht.
Bayern hat mit Niedersachsen eine Vorreiterrolle bei der Einführung Islamischen Unterrichts (mit unterschiedlichen Bezeichnungen) in stetig ausgeweiteten Modellversuchen („Erlanger Modell“) und auch bei der Etablierung der korrespondierenden Ausbildung von Lehrkräften übernommen. So besteht in Erlangen seit 2012 das „Department Islamisch-Religiöse Studien“ zur Ausbildung muslimischer Theologinnen und Theologen.
Der gegenwärtige Modellversuch läuft 2019 aus, so dass zeitnah eine Anschlussregelung zu treffen ist. Die vielfach belegten positiven Wirkungen der bisherigen Angebote (in Übereinstimmung mit Evaluationen in anderen Bundesländern) legen die Fortführung des Unterrichts dringend nahe.
Hospiz- und Palliativversorgung
Katharina Jahn M.A.
Ein würdiges und selbstbestimmtes Leben bis zum Tod ̶ darauf richtet sich der Fokus der Palliativ- und Hospizversorgung. Folglich bildet der Patient als Individuum mit all seinen physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Bedürfnissen den Mittelpunkt dieser Versorgungsart. Hier ist auch die religions- und kultursensible Begleitung ein wichtiges Feld.
In Teilen findet in Bayern ein solcher Ansatz mit Blick auf muslimische Patienten bereits Anwendung. Häufig sind es organisatorische Gründe, die eine Orientierung an den Bedürfnissen des Patienten erschweren. Entsprechend kann der Dokumentation der Gebetszeiten oder der gleichgeschlechtlichen Versorgung durch einen Muslim nach dem Versterben größtenteils nur mit Einschränkungen nachgekommen werden.
Angehörige muslimischer Patienten sind in den Einrichtungen sehr präsent und übernehmen diverse Aufgaben in Bezug auf die Versorgung der Verstorbenen. Obwohl meist deutliches Engagement seitens der Einrichtung besteht, kann davon ausgegangen werden, dass Strukturen und Netzwerke fehlen, die sicherstellen, dass diese Aufgaben auch von den Einrichtungen eigenständig und umfassend übernommen werden können, oder eine systematische Verzahnung von familiären und professionellen Sorgeleistungen gewährleisten.
Die Versorgung muslimischer Patienten kann durch eine Fokussierung des Individuums und dessen Bedürfnisse, aber auch durch das Aneignen von praktischem Wissen im Umgang mit Muslimen optimiert werden.
Gefängnisseelsorge
Julia Krekel M.A.
Die Gefangenenseelsorge hat in Deutschland aufgrund der Zusammenarbeit zwischen Staat und christlicher Kirche – wie vom deutschen Religionsverfassungsrecht vorgesehen – eine lange Tradition. Ihr wird seither ein großer Stellenwert beigemessen. Studien belegen, dass religiöses Wissen bzw. Religiosität ein protektiver Faktor gegenüber Kriminalität sein und zudem für zusätzliche Hemmungen vor Gesetzesverletzungen sorgen kann. Darüber hinaus stabilisiert eine seelsorgerische Betreuung im weitesten Sinne, da Religion ein moralischer Leitfaden für den Alltag innerhalb der JVA und auch nach der Haft darstellen kann.
Die Zahl muslimischer Inhaftierter in bayerischen JVAen beträgt derzeit ca. 2.100 (Stand Anfang 2018), darunter ca. 100 Inhaftierte, die als islamistische Extremisten bekannt sind oder bei denen ein entsprechender Verdacht besteht. In 23 JVAen sind gegenwärtig 34 muslimische Seelsorger tätig, meist aus DİTİB-Moscheevereinen auf Vorschlag des türkischen Generalkonsulats; bislang sind mit diesen Personen keinerlei Probleme aufgetreten.
Eine flächendeckende Versorgung befindet sich noch im Aufbau. Bislang fehlt es noch an einem Ansprechpartner für die Kooperation im rechtlich vorgesehenen Regelrahmen sowie an einer hinreichenden Zahl geeigneter Personen und dauerhafter finanzieller Absicherung. Deshalb sind gegenwärtig improvisierte Modelle vorherrschend.
Studien und Erkenntnisse aus anderen Bundesländern haben ebenso wie diejenigen aus Bayern dringenden Handlungsbedarf offengelegt. Dabei geht es vielen Inhaftierten nicht nur um religiös konnotierte Seelsorge, sondern wie bei Angehörigen anderer Religionen auch um alltägliche Lebenshilfe.
Radikalisierung und Salafismus
Dr. Mahmoud Jaraba
Salafismus ist eine stark ideologisch geprägte Bewegung für einen puristischen Islam, meist verbunden mit dem saudi-arabischen Wahhabismus. Ziel ist die Herstellung eines authentischen Islam durch Konzentration auf Qur’an und Sunna (Tradition des Propheten Muhammad), meist praktisch umgesetzt durch die minutiöse Nachahmung des Propheten in Kleidung, Lebensstil, Gewohnheiten und Sprechen. Es geht um eine Reform des Glaubens, der Lebenspraxis und (somit auch) der Gesellschaft durch Predigt und Vorbild, aber bei einigen auch durch Gewalt und Terror. Andersdenkende und Anderslebende – Muslime wie Nichtmuslime – werden oft rigoros abgelehnt.
Aus diesem Schwarz-Weiß-Schema von „wir wahren Muslime“ und „die anderen“ kann sich – gelegentlich sehr schnell – eine Radikalisierung zu Gewaltbereitschaft entwickeln.
In Bayern gibt es ca. 700 Salafisten mit Aktivitäten im Internet sowie einigen Moscheen. Sie finden vor allem in der jungen Generation viele Anhänger, da sie meist auf Deutsch sprechen und zudem intensiv soziale Medien und das Internet nutzen. Ihre Ideologie verbreitet sich daher seit Mitte der 2000er zunehmend in der muslimischen Community.
Ein Schwerpunkt unserer Forschung lag auf der Sammlung und Analyse von Predigten, um die Konstruktion salafistischer Ideologie sowie Techniken der Propaganda erfassen und analysieren zu können.
Unsere Feldstudie in Bayern liefert nun ein genaueres Bild: Orte und Moscheen, Zahl der Aktiven, Kernthemen ihrer Ideologie, Merkmale ihrer Predigten, Methoden zur Gewinnung von Anhängern.
Islamfeindlichkeit
Dr. Hüseyin Çiçek
Seit den 1990er Jahren zeigt sich in Deutschland und Europa ein Perspektivenwandel in der Sicht auf Migranten und Muslime von „Ausländer/Gastarbeiter“ hin zu „Türke“ oder „Araber“ und dann zu „Muslim“. Hierbei wurden und werden häufig soziale und ökonomische Probleme der Integration mit der Religionszugehörigkeit der Betroffenen vermengt, auch wenn diese oft irrelevant für die aufgetretenen Probleme ist. Vor allem seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat sich verbreitet ein islamskeptisches Klima gebildet, das durch immer neue islamistische Attentate verstärkt wird.
Islamfeindlichkeit liegt vor, wenn Einzelpersonen und/oder Kollektive unterschiedlichster politischer, religiöser sowie ideologischer Couleur, gezielt und willentlich die im deutschen Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit Muslimen nicht zugestehen wollen. Ziel dieser Individuen und/oder Gruppen ist es, den Islam mit radikalen, jihadistischen oder islamistischen Bewegungen gleichzusetzen und somit eine Weltreligion als faschistische und/oder bedrohliche Ideologie darzustellen, deren Existenz eine Gefahr für jedwede Gesellschaft darstellt. Ihr Ziel ist es nicht, legitime Religionskritik bzw. Islamkritik zu üben, sondern Muslime und den Islam grundsätzlich als gefährlich, nicht-integrierbar, gewalttätig, frauenfeindlich etc. zu verunglimpfen.
Islam im Dreiländereck Bodensee
Dr. Hüseyin Çiçek
Der Alltag von Muslimen im Dreiländereck Bodensee ist von Gemeinsamkeiten und regelmäßigen Austausch über Landesgrenzen hinweg bestimmt. Er hat viele Facetten. Diskussionen über Werte oder (deutsche) Leitkultur, richtige Integrationsmaßnahmen sowie innermuslimische Auseinandersetzungen um den Islam sind fester Bestandteil. Das Zusammenspiel von Mehrheits- und Einwanderungsgesellschaft entwickelt eigene Dynamiken und die muslimische Bevölkerung nimmt die Entwicklungen in ihrem Alltag mit großer Sorgfalt auf und reagiert darauf.
Geschichte des Islams und seine Erforschung in Bayern
Dr. Jörn Thielmann
Die Präsenz von Muslimen in Bayern reicht in die Zeit der Türkenkriege im 16. und 17. Jahrhundert zurück. Im Jahr 1686 brachte der bayerische Kurfürst Max Emanuel aus dem „Großen Türkenkrieg“ (1683-1699) 345 sogenannter „Beutetürken“, also osmanische Kriegsgefangene, als Leibeigene nach München. Im 18. Jahrhundert kamen Muslime als Diplomaten, zu Studienzwecken, als Händler oder Reisende nach Bayern. München mit dem Islamischen Studentenbund war in den 1930er Jahren, zusammen mit Berlin, der wichtigste Studienort für Muslime in Deutschland, aber auch in Erlangen gab es muslimische Studierende. Im März 1958 gründeten 71 ehemalige muslimische Wehrmachtsangehörige in München die Geistliche Verwaltung der Muslimflüchtlinge in der Bundesrepublik e.V., die u.a. von der bayerischen Regierung finanziert wurde. Sie initierte den Bau des Islamischen Zentrums München in Freimann, einer der ersten Moscheen in Deutschland.
Heute besteht eine ausdifferenzierte, wenn auch institutionell kaum professionell gestützte Angebotsstruktur für Muslime in Bayern. Die bis dahin an vielen Orten – mit Ausnahme der Universitätsstandorte – bestehende türkische Dominanz wird seit 2015 durch den Zuzug von syrischen, aber auch irakischen Flüchtlingen abgeschwächt.
An bayerischen Universitäten hat die Beschäftigung mit orientalischen Sprachen und, darüber vermittelt, auch mit den Religionen und Kulturen des Nahen Ostens eine lange Tradition. Erlangen sowie München, hier auch die BAdW, sind Traditionsstandorte der Islamforschung, mittlerweile ergänzt durch Bamberg und Bayreuth. 2012 kam in Erlangen ein theologisch ausgerichtetes Department Islamisch-Religiöse Studien hinzu.